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Autorenbildarmin schädeli

Liebe, Intelligenz und Gefühle im Reich der Fische

Fische, die eine Wellnessbehandlung geniessen oder auf Antidepressiva reagieren? In seinem Buch räumt der Verhaltensbiologe Jonathan Balcombe auf mit Vorurteilen über den kalten, emotionslosen Fisch. Aber Vorsicht, die Lektüre des Buchs birgt Risiken und Nebenwirkungen.


Als Jane Goodall bei Ihren Feldbeobachtungen in Tanzania den Schimpansen Namen gab und Verhaltensweisen beobachtete, die an Menschen erinnerten, rümpfte die Forschungsgemeinschaft die Nase und sprach von Vermenschlichung. Heute wissen wir: Schimpansen und Menschen teilen sich 98,6 Prozent ihres Erbguts. Unsere nächsten Verwandten können Werkzeuge herstellen, Traditionen innerhalb ihres Clans weitergeben und sind fähig, Empathie zu empfinden.

Das Bild zeigt die Titelseite des Buchs "Was Fische wissen"

Der kalte, emotionslose Fisch


Wenn es jedoch um Fische geht, so fragen sich selbst Tierfreunde, ob sie in der Lage sind, soziale Bindungen einzugehen oder so etwas wie Genuss zu empfinden. Und manch einer spricht ihnen sogar die Fähigkeit ab, Schmerzen zu empfinden. Jonathan Balcombe ist sich sicher, Fische haben ein Problem. Im Gegensatz zu Menschenaffen sind sie uns nicht ähnlich. Sie verfügen weder über Hände noch Füsse und sie kennen keine Mimik, sie können nicht einmal blinzeln. Weil sie so anders sind wie wir, fällt es uns schwer, Empathie für sie zu empfinden. Doch dies ändert sich spätestens nach der Lektüre des Buchs «Was Fische wissen» des Verhaltensforschers Jonathan Balcombe gelesen hat.


Fische und Gefühle: Depressive Zebrabärblinge


Haben Fische Gefühle und verfügen sie über eine Art von Intelligenz? Balcombe zeigt in seinem Buch anhand von wissenschaftlichen Studien, dass es zahlreiche Parallelen zwischen Mensch und Fisch gibt. Fische haben Gefühle. So sendet das Gehirn von Knochenfischen und Säugetieren auf nahezu identische Weise Hormonbotschaften aus. Balcombe beschreibt einen verblüffenden Versuch, der am Max-Planck-Institut für Neurobiologie an der University of California durchgeführt wurde. Dort wurden Zebrabärblinge untersucht, die Anzeichen einer Depression zeigten. Die Fische wurden einzeln in ein neues Aquarium gesetzt. Normalerweise gewöhnen sich die Fische nach einigen Minuten an die neue Situation und erkunden ihr neues Umfeld. Die genetisch veränderten Fische jedoch hatten Mühe, sich an das neue Umfeld zu gewöhnen und sie reagierten auf das Alleinsein, indem sie sich auf den Grund des Aquariums sinken liessen und dort regungslos verharrten.

Das Verhalten änderte sich erst, als zwei Medikamente ins Wasser gegeben wurden: Valium gegen Angstzustände und ein Antidepressivum. Interessanterweise linderte auch visueller Kontakt zu Artgenossen das Depressionsverhalten. Jonathan Balcombe

Wellnessbehandlung beim Putzerfisch


Aber kann, wer leidet und Anzeichen einer Depression zeigt, am andern Ende der Gefühlsskala auch so etwas wie Freude und Genuss empfinden? In einem weiteren Versuch wurden zwei Modelle von Putzerfischen in ein Aquarium gesetzt, der eine hatte bewegliche Flossen, der andere nicht. Die Fische näherten sich in der Hoffnung, geputzt zu werden. Da die Modellfische dies natürlich nicht konnten, verloren die Fische rasch das Interesse - zumindest an dem Modell, welches sich nicht bewegte. Sie kehrten aber immer wieder zum andern Putzerfisch zurück und liessen sich von der beweglichen Flosse streicheln. Diese Streicheleinheiten senkten den Cortisol-Gehalt im Blut und somit den Stress.

Das Bild zeigt zwei grosse Fische, die auf Jagd nach einem Fischschwarm sind
©️ Armin Schädeli

​Underwater Love ❤️ Wie Balcome zeigt, ist das Liebesleben unter Wasser äusserst vielfältig. Es reicht von Paaren, die ein Leben lang zusammenbleiben bis zu haremsartigen Konstellationen und Fischen, die im Laufe ihres Lebens ihr Geschlecht ändern. Auch das Repertoire, um künftige Partner zu für sich zu begeistern ist gross, da gibt es Tänze, Liebeslieder und eine Art schafft sogar kleine Kunstwerke. Der japanische Kugelfisch schafft bis zu knapp zwei Meter breite geometrische Kreise, eine Art Mandalas oder "Land Art" unter Wasser. Das nur zwölf Zentimeter grosse Männchen schwimmt dabei auf der Seite, fächelt mit einer Brustflosse und zeichnet so seine Formen in den Sand. Zwischendurch betrachtet er sein Werk aus der Ferne und streut dazu noch Muschenschalen-Stücklein ein. Sein Werk soll ein Weibchen beeindrucken und dazu bringen, ihre Eier im Zentrum des Kunstwerks abzulegen. Die Furchen sind nicht nur dekorativ, sie haben auch eine Funktion: Sie verhindern, dass der Laich sofort von der Strömung weggetrieben wird. Viele Fischarten geben alles für die Liebe, aber der japanische Kugelfisch ist auch Künstler und Designer.



(c) Amie Chou

Jonathan Balcombe, geboren 1959 im südenglischen Hornchurch, aufgewachsen in Neuseeland und Kanada, lebt seit 1987 in den USA. Der promovierte Verhaltensbiologe ist ein gefragter Experte für das Empfindungsvermögen von Tieren und hat verschiedene Bücher zum Thema verfasst. Außerdem leitet er am Humane Society Institute for Science an Policy in Washington, D.C., die Abteilung für Tierbewusstsein.






Wenn Fischstäbchen Werkzeuge erfinden


Doch wie sieht es mit der Intelligenz im Reich der Fische aus? Menschen erachten jene Tiere als intelligent, die Werkzeuge benutzen oder herstellen. Gemäss Balcombe ist die Intelligenz auch bei den verschiedenen Fischarten unterschiedlich ausgeprägt. Generell gilt:

«Die Evolution bringt jeweils so viel Intelligenz hervor, wie eine Spezies braucht, um in einer bestimmten Umwelt zu überleben.»

Als besonders findig erweist sich der Atlantische Kabeljau, ein Fisch, den viele Menschen nur als Fischstäbchen kennen. Die Fische lernten in einer Versuchsanordnung, an einer Schlinge zu ziehen, um einen Futtermechanismus auszulösen. So weit so gut, doch die Fische entwickelten eine andere Strategie. Um die Fische unterscheiden zu können, wurden sie von den Versuchsleitern mit einer farbigen Plastikmarke nahe der Rückenflosse markiert. Offenbar durch Zufall endeckten die Fische, dass sie sich mit der Plastikmarke in der Schlinge einhängen konnten. Sie übten sich nun mit zahlreichen Versuchen darin, die Schlinge bei dieser Plastikmarke einzuhängen. Sobald sie es geschafft hatten, lösten sie mit einem kräftigen Zug den Futtermechanismus aus. Der Vorteil dieser Strategie? Sie hatten den Mund frei, waren näher an der Nahrungsquelle und erhöhten so ihre Chance, einen leckeren Happen abzubekommen.

Der atlantische Kabeljau hat die Versuchsanordnung – wir würden sagen kreativ – zu seinen Gunsten gewendet.

Fische mit Sinn für Hierarchien

Wenn Fische in Schwärmen unterwegs sind, ist es für Menschen unmöglich, einzelne Individuen zu erkennen. Balcombe zeigt, dass Fische das können. Sie erkennen auch ihre Nachbarn im Riff. Wenn diese in ihrem Revier vorbeischauen, werden sie nicht angegriffen, fremde Fische hingegen werden sofort attackiert. Doch manche Fischarten haben - wie beispielsweise Pferde - offenbar auch einen ausgeprägten Sinn für Hierarchie.

Maulbrüter, die zu den ostafrikanischen Buntbarschen gehören, haben einen ausgeprägten Sinn für ihre Position innerhalb der Gemeinschaft entwickelt. Sie können folgern, dass Fisch A ranghöher sein muss als Fisch C, wenn Fisch A höher steht als Fisch B und Fisch B höher steht als Fisch C. Zu kompliziert? Für Maulbrüter offenbar nicht.
Das Bild zeigt einen Graureiher, der vor der untergehenden Sonne auf einem Stab auf Fische wartet
©️ Armin Schädeli

Für Fische schwärmen


Wer Jonathan Balcombes Buch gelesen hat, wird Fische mit anderen Augen sehen. Als soziale, empfindungsfähige Wesen, die in der Lage sind, Schmerz und Genuss zu erleben. Natürlich können wir letztlich nie sicher sein, was ein anderes Lebewesen empfindet. Selbst wenn ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, bei einem Kaffee gegenübersitzen würde, könnte ich nur zu erahnen versuchen, was Sie fühlen. Und dies, obwohl wir derselben Spezies angehören. Und trotzdem: Die Datenlage scheint klar, Fische sind zu erstaunlichen geistigen und emotionalen Leistungen in der Lage..

Der Gang zur Fischtheke und die Fischbestellung im Restaurant werden nach der Lektüre definitiv schwerer fallen. Diese Nebenwirkung bringt die Lektüre mit sich - und das ist von Jonathan Balcombe zweifellos so gewollt.

Der Fisch, der Menschen erkennt


Der Autor wartet aber nicht nur mit wissenschaftlichen Studien auf, er streut auch zahlreiche Anekdoten ein. So erzählt er die Geschichte von Rosamonde Cooke, einer Ökologin, die an der Colorado State University tätig war. Während den Sommerferien half sie mit, die Fische in einem Aquarium zu füttern, darunter war auch ein junger Schwarzbarsch. Rosamonde war überzeugt, dass der Fisch sie erkannte, da er nur zum Rand des Aquariums schwamm, wenn sie vorbeikam. Dies sogar dann, wenn sie in einer Menschenmenge unterwegs war. Wenn andere Menschen am Aquarium vorbeigingen, zeigte er keine Reaktion. Die Professoren der Universität meinten jedoch, dass Fische keine menschlichen Gesichter erkennen können. Rosamonde sah das natürlich ganz anders und hat damals intuitiv spätere Forschungsergebnisse vorweggenommen. Denn es gibt mittlerweile wissenschaftliche Hinweise darauf, dass einige Fischarten menschliche Gesichter erkennen können. Übrigens setzte Rosamonde den Schwarzbarsch später in einem grossen Teich auf den Universitätsgelände aus. Dort, wo Fischen verboten ist.


Autor: Armin Schädeli


Fische - Intelligenz und Gefühle


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